Suche der Todesursache in der Rechtsmedizin

Röntgen post mortem

radiologie|technologie radiologie/technologie Heft 4/2014

Auch bei Röntgenaufnahmen zur Beweissicherung sollte Standardaufnahmetechnik und die Einstelltechnik aus der Routine verwendet werden, damit ein Vergleich zwischen post mortem und zu Lebzeiten angefertigten Röntgenbildern möglich ist.

In den letzten Jahren hat die postmortale Bildgebung im Bereich der Rechtsmedizin immer mehr an Bedeutung gewonnen. Insbesondere Schnittbildverfahren wie die Computertomographie (CT) und die Magnetresonanztomographie (MRT) haben ihren Einzug in das Fach gefunden. Bei Verkehrsunfällen, Tötungsdelikten, nach komplexen chirurgischen Eingriffen sowie bei vielen weiteren Indikationen kann die Bildgebung wichtige Informationen liefern. Kleinere Institute bzw. Institute in Bundesländern mit geringem Budget können oftmals kein eigenes CT beschaffen und unterhalten.

Ein möglicher Ausweg ist die Verwendung von Computertomographen in nahe gelegenen Kliniken. Dort ist jedoch aufgrund des täglichen Patientenaufkommens die Verwendung für forensische Zwecke beschrankt und häufig nur nachts möglich. Daneben sind auch konventionelle Röntgenaufnahmen weiterhin hilfreich. Sie leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Verbesserung bzw. Planung der Sektion und sollten nach wie vor zum rechtsmedizinischen Standard gehören.

In Fällen von Schussverletzungen hilft eine radiologische Untersuchung beim Auffinden der Projektile und bei der Rekonstruktion des Schusskanals bzw. des Tathergangs. Daher gehören Röntgenaufnahmen von Verstorbenen mit Schussverletzungen seit Langem zur allgemeinen Praxis, um in Verbindung mit der äußeren Leichenschau Hinweise auf die Zahl, Form und Lokalisation von Projektilen zu erhalten. Auch im Zeitalter der postmortalen Schnittbilddiagnostik sollte, sofern diese nicht möglich ist, auf das konventionelle Rontgen zurückgegriffen werden.


Fallbeispiel

Ein 35-jahriger Sportschutze erfuhr, dass seine Ehefrau seit längerer Zeit ein Verhältnis mit einem Arbeitskollegen habe. Abends sei es zu einer Aussprache zwischen den beiden Männern gekommen, die im Streit geendet habe. Am nächsten Morgen folgte der Ehemann dem Liebhaber auf den Firmenparkplatz und lief schießend auf den Rivalen zu, der sich hinter dem Kotflügel seines Fahrzeugs versteckte. Die Schussentfernung lag laut polizeilicher Ermittlungsakte zwischen 9 und 1,5 m. Ob sich die verwendete Pistole im halbautomatischen oder vollautomatischen Modus befunden hat, ist nicht dokumentiert worden. Man fand jedoch 31 Patronenhülsen; diese Zahl korrespondiert mit einem Magazin für den vollautomatischen Modus. Anschließend suizidierte sich der Ehemann mit einem Kopfschuss aus einem Revolver.

Äußere Leichenschau

Nach Entkleidung des Leichnams ergab die äußere Leichenschau einen Einschuss im Bereich der linken Stirnregion mit korrespondierendem Ausschuss hinter der rechten Ohrmuschel. An der Körpervorderseite ließen sich im linken Brustbereich drei Einschusslücken, im rechten Bauchbereich weitere sieben Einschüsse und an der linken Bauchseite zwei Ausschüsse abgrenzen. Zusätzlich zeigte sich ein Streifschuss am Bauch. An der rechten Oberarmaußenseite war ein weiterer Streifschuss lokalisiert. An der linken Körperrückseite waren zwei Einschusse sowie etwas getrennt davon drei Ausschüsse gelegen. Ein weiterer Einschuss fand sich an der rechten Gesäßhälfte und ein Durchschuss am rechten Oberschenkel mit Einschuss an der Außenseite. Etwa in gleicher Hohe zeigte sich an der Innenseite des linken Oberschenkels 1 weiterer Einschuss.

Rechtsmedizinische Sektion

Vor der Sektion wurden konventionelle Röntgenaufnahmen des Schädels, des Brustkorbes, des Abdomens, des Beckens, der Oberschenkel und der oberen Extremitäten angefertigt. Die Übersichtsaufnahmen ergaben zehn Projektile bzw. -teile, die im Zuge der Sektion einzeln präparatorisch dargestellt werden konnten. Die Röntgenaufnahme des Schädels zeigte Schussbruche der Kalotte und der Schädelbasis sowie eine Sprengung der Pfeilnaht. Auf dem Übersichtsbild des Thorax (mit Anteilen des Oberbauches) kamen vier projektilartige metalldichte Fremdkörper zur Darstellung. Drei der Schusskanäle konnten nachvollzogen und die Projektile lokalisiert werden (Abb. 1). Das vierte Projektil wurde erst nach erneutem Rontgen wahrend der Sektion im dritten Brustwirbelkörper aufgefunden, frei präpariert und asserviert (Abb. 2).

Weitere Obduktionsbefunde:

  • 16 Ein- und 7 Ausschüsse, 2 Streifschusse, überwiegend am Rumpf (Abb. 3), 1 Einschuss am Kopf
  • 10 Projektile bzw. Geschossfragmente: 8 ganze Projektile, 1 Projektil in 2 Teile zerlegt (im Schädel)
  • Zertrümmerung der rechten mittleren und der hinteren Schädelgrube
  • Sprengung der Pfeilnaht, von hier ausgehend zahlreiche Frakturausläufer in alle Schädelgruben mit Blutung unter die Dura und zwischen die weichen Hirnhaute, großflächiger Defekt des rechten Schlafenlappens
  • Schusslücken in beiden Lungen mit Blutung in die Brusthöhlen
  • Schusslücken in der linken Herzvorderwand und der rechten Seitenwand mit Blutung in den Herzbeutel
  • Zertrümmerung von Leber, Milz und linker Niere mit mäßiger Blutung in die Bauchhöhle
  • mehrere Schusslücken im Dünn- und Dickdarm sowie Gekröse
  • Knöcherne Läsionen: Schussfrakturen mehrerer Rippen, Durchschuss des Brustbeins, Steckschuss mit Endlage des Projektils im dritten Brustwirbelkörper
  • allgemeine Zeichen des Blutverlustes.
Abb. 3 Zum Vergrößern: - Bild anklicken

Diskussion

Die Verwendung der Röntgendiagnostik in der Rechtsmedizin ist bereits kurz nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Conrad Wilhelm Rontgen (1895) in verschiedenen Arbeiten beschrieben worden [2, 4, 6, 7, 10]. Bis in die 1980er-Jahre erschienen zahlreiche Publikationen zu diesem Themenbereich [2, 7, 11]. Mit dem Einzug der Schnittbildverfahren in die Radiologie und Rechtsmedizin haben sowohl die Kasuistiken als auch die Übersichts- und Originalarbeiten über die Verwendung der konventionellen Röntgendiagnostik unter forensischen Gesichtspunkten deutlich abgenommen, während die Anzahl an Publikationen über die Verwendung von Schnittbildverfahren explosionsartig zunahm [9, 14, 15]. Viele rechtsmedizinische Institute können jedoch bis heute kein eigenes CT-oder MRT-Gerat finanzieren oder sie verfügen nicht über die räumlichen Voraussetzungen. Im Rahmen von Kooperationen mit nahe gelegenen Krankenhäusern oder radiologischen Praxen ist es mitunter nur spätabends oder nachts möglich, die Gerate für die postmortale Bildgebung zu nutzen.

Im referierten Fall konnten durch die vor der Sektion angefertigten konventionellen Röntgenaufnahmen die einzelnen Schusskanale leichter nachvollzogen werden. Insbesondere das im dritten Brustwirbelkörper steckende Projektil ließ sich so lokalisieren und im Zuge der Obduktion präparatorisch darstellen, so dass es der kriminaltechnischen Untersuchung zugeführt werden konnte.

Das Auffinden des Projektils hatte durch eine weitere präautoptische Röntgenaufnahme in einem zweiten Strahlengang deutlich vereinfacht werden können. Da Geschosse im Körper abgelenkt, zerlegt oder gar in größeren Blutgefäßen embolisiert werden können, ist eine Röntgenuntersuchung des gesamten Körpers zu empfehlen. Eine zweite radiologische Projektion sollte dann gezielt auf Höhe des detektierten Geschosses erfolgen. Durch die radiologische Darstellung des Projektils oder seiner Teile können bereits erste Ruckschlusse auf die verwendete Munition gezogen werden (z.B. aufpilzende Geschosse oder Zerlegungsgeschosse). Ferner sind ggf. durch abgesplitterte Knochenfragmente bei Knochentreffern (und evtl. zusätzliche Projektilfragmente) Hinweise auf die Schussrichtung zu gewinnen [9, 11].

Die hier vorgestellte Kasuistik unterstreicht die Nützlichkeit konventioneller Röntgenbilder im Vorfeld gerichtlicher Obduktionen [1, 3]. Diese sollten nicht nur bei Schussverletzungen [5], sondern auch bei sonstigen penetrierenden Verletzungen durch röntgendichte Fremdkörper, zum Nachweis von Luft-/Gasansammlungen, zur Dokumentation frischer und alter knöcherner Verletzungen, bei Brandleichen, Explosionen, Verkehrsunfällen, Flugzeugabstürzen, Zugunglücken sowie sonstigen Massenkatastrophen und bei unbekannten Verstorbenen zwecks Identifizierung (Zahnstatus, alte Frakturen, Implantate, sonstige knöcherne Auffälligkeiten) erfolgen [7, 9, 10, 11, 12, 13, 16].

Einstell- und Aufnahmetechnik aus der Routine verwenden

Rothschild et al. haben im Jahr 2001 auf den zusätzlichen Informationsgewinn durch eine Röntgenuntersuchung und auf den Stellenwert des Röntgenbildes als Beweismittel hingewiesen [9]. Wegen des nicht invasiven Charakters der Untersuchung stehen auch nach Anfertigung von Röntgenaufnahmen noch sämtliche Optionen offen. Rothschild et al. schlagen eine Anlehnung an röntgenologische Standardeinstellungen und an die Empfehlungen der Bundesärztekammer vor. Dies vereinfacht den Vergleich antemortaler und postmortaler Röntgenbilder z. B. im Rahmen einer Identifizierung. Außerdem ist zu erwarten, dass die Qualität der postmortalen Röntgenaufnahmen gesteigert wird, da die klinische Einstelltechnik erprobt ist und großteils auf die postmortale Befunderhebung übertragen werden kann [8]. Durch eine verbesserte Qualität der Röntgenbilder wird überdies deren Wert als Beweismittel gesteigert.

In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Fragestellung sollten auch konventionelle Röntgenaufnahmen nach Möglichkeit interdisziplinar beurteilt werden. Dies kann sowohl den klinischen Radiologen als auch den Zahnarzt mit einschließen und die Aussagekraft der Befundung steigern, so zum Beispiel bei einer Identifizierung anhand des Zahnschemas oder bei Brandopfern auf der Suche nach Identifizierungsmerkmalen (alte Frakturen etc.). Allerdings müssen klinisch tätige Arzte beachten, dass es nach dem Tod zu postmortalen Veränderungen unter anderem durch Hypostase, Autolyse, Ödeme, Leichengerinnsel und Gasbildung kommt [7,11,14].


Literaturverzeichnis:

  1. AWMF Leitlinie: Die rechtsmedizinische Leichenöffnung. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/054-001.html
  2. Bratzke, H., Schneider, V., Dietz, W. (1982): Röntgenuntersuchungen bei gerichtlichen Leichenöffnungen. Fortschr. Röntgenstr. 136: 463-472
  3. Brinkmann, B., Madea, B. (2004): Handbuch gerichtliche Medizin, Band 1. Springer-Verlag (Berlin, Heidelberg), S. 59
  4. Cox, J., Kirkpatrick, R. C. (1896): The new photography with report of a case in which a bullet was photographed in the leg. Montreal Med. J. 24: 661
  5. Di Maio, V. J. M (1999): Gunshot Wounds: Practical aspects of Firearms, Ballistics and Forensic Techniques. 2nd ed.,CRC Press (Boca Raton, New York), pp. 315-325
  6. Gross, H. (1899): Röntgenstrahlen und ihre forense Vewerthung. Arch. Kriminalanthrop. Kriminal. 1: 338
  7. James, A. E. (1980): Legal Medicine With Special Reference to Diagnostic Imaging. Urban & Schwarzenberg (Baltimore, München)
  8. Knight, B. (1996): Forensic Pathology. 2nd ed., Oxford University Press (New York)
  9. Rothschild, M. A., Krug, B., Riepert, T. (2001): Postmortale Röntgendiagnostik in der Rechtsmedizin. Rechtsmedizin 11: 230-243
  10. Schmidt, G., Kallieris, D. (1982): Use of radiographs in the forensic autopsy. Forensic Sci. Int. 19: 263-270
  11. Stein, K. M., Grünberg, K. (2009): Forensische Radiologie. Radiologe 49: 73-85
  12. Taylor, J. D. (1952): Post-mortem diagnosis of air embolism by radiography. Brit. Med. J. 1: 890-893
  13. Telmon, N., Allery, J. P., Scolan, V., Rouge, D. (2001): A case report demonstrating the value of chest X-rays in comparative identification. J. Forensic Leg. Med. 8: 77-80
  14. Thali, M., Dirnhofer, R., Vock, P. (2009): The Virtopsy Approach: 3D Optical and Radiological Scanning and Reconstruction in Forensic Medicine, CRC Press (Boca Raton, New York)
  15. Thali, M., Viner, M. D., Brogdon, B. G. (2011): Brogdons‘s Forensic Radiology. 2nd ed., CRC Press (Boca Raton, New York)
  16. Wood, R. E. (2006): Forensic aspects of maxillofacial radiology. Forensic Sci. Int. 159 Suppl.: 47-55

Ein Beitrag aus der Zeitschrift "radiologie technologie" Heft 4/2014 aus dem Schmidt-Römhild-Verlag, Lübeck

Original erschienen unter dem Titel „Konventionelle Radiologie im Zeitalter (zunehmender Bedeutung) der postmortalen Computertomographie“ in Archiv für Kriminologie 234:127-133 (2014) ebenfalls im Schmidt-Römhild-Verlag, Lübeck.


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