Röntgen mit einer Rolle Tesafilm

Karl-Heinz Szeifert 1 Jul, 2019 23:59

Es klappt - allerdings nur im Vakuum, aber es klappt! - Wird Klebeband von der Rolle abgezogen, entsteht eine schwache Röntgenstrahlung.

Man braucht also nicht unbedingt eine Röntgenröhre, wenn man sich im Notfall mal den Finger röntgen will! Eine Vakuumpumpe und die Rolle Tesafilm reichen hierzu vollkommen aus. Denn wird das Klebeband schnell genug abgerollt, sendet es Licht und Röntgenstrahlung aus. Forscher konnten damit sogar einen Finger durchleuchten.


Deutlich war der Fingerknochen auf der Röntgenaufnahme zu erkennen. Die nötige Strahlung dafür stammte aber nicht aus einer Röntgenröhre, sondern aus einer einfachen Klebebandrolle. Amerikanische Physiker mussten dazu einen langen Streifen nur schnell genug abziehen: mit etwa drei Zentimeter pro Sekunde. Wie sie in der Zeitschrift "Nature" berichten, sei ein seit Jahrzehnten bekannter Effekt namens Tribolumineszenz für das Aussenden von Röntgenlicht verantwortlich.

"Die Intensität der Röntgen-Tribolumineszenz reicht aus, um damit Röntgenbilder aufzunehmen", schreiben Carlos G. Camara und seine Kollegen von der University of California in Los Angeles. Allerdings mussten sie für das Durchleuchten eines Fingers die Kleberolle in einer Vakuumkammer abrollen. Unter Normaldruck ließ sich immerhin noch sichtbares, bläuliches Licht beobachten.
Sichtbares Licht, das beim
Abrollen einer handelsüblichen
Rolle Klebeband entsteht.
Bild: Carlos Camara/Juan Escobar

Für ihr Experiment setzten sie eine handelsübliche Klebebandrolle auf eine drehbare Achse und entrollten sie gleichmäßig mit Hilfe eines Elektromotors. Mit einem Röntgendetektor erkannten sie, dass dabei die Energie reichen Strahlen ein bis zwei Mal pro Sekunde für nur wenige milliardstel Sekunden aufblitzten. Diese Blitze erreichten maximal eine Leistung von bis zu 100 Milliwatt.

Schon 1953 war dieses Phänomen an Klebebändern erstmals beobachtet worden. Schlüssig erklären können es die Physiker auch mit der neuen Präzisionsmessung noch nicht. Denn die van-der-Waals-Kräfte, die für den Klebeeffekt verantwortlich sind, sind eigentlich um das Hundertfache zu schwach, um genug Energie für die Röntgenblitze bereitstellen zu können.

Die wahrscheinlichste Erklärung ist laut den Forschern folgende: Beim Abziehen lädt sich der abgerollte Streifen mit der Klebeseite positiv und der Rest der Rolle negativ auf. Dadurch bildet sich ein elektrisches Feld, das stark genug ist, um eine Entladung zwischen den beiden Polen zu ermöglichen. Im Vakuum sorgt diese Entladung für eine Beschleunigung von Elektronen, die sich zwischen den Flächen befinden und ihre Energie in Form von Röntgenstrahlung abgeben, wenn sie die positiv geladene Seite des Bandes passieren. Wo jedoch die Grenzen des Klebeband-Röntgens liegen, können die Forscher bisher nicht sagen. Sie vermuten allerdings, dass auch noch andere Systeme zu ähnlichen Energieausbrüchen fähig sind.

Mit einer billigen Röntgenquelle für den Hausgebrauch oder für den Einsatz in Entwicklungsländern ist jedoch nicht so bald zu rechnen. Doch die Wissenschaftler wollen die mysteriösen Röntgenblitze noch weiter untersuchen und rechnen damit, dass ähnliche - vielleicht auch intensivere - Tribolumineszenzen auch mit anderen Werkstoffen möglich sind.

Quelle: Carlos Camara (Universität von Kalifornien, Los Angeles) et al.: Nature, Bd. 455, S. 1089.

Der Versuch in Videos:

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