Röntgen bitte nur im Zweifelsfall

Die gehaltene Aufnahme des OSG

Karl-Heinz Szeifert 21 Feb, 2021 00:00

Sind gehaltene Aufnahmen von Sprunggelenken nach Supinationstrauma heute noch sinnvoll? Dieser Fragestellung geht Claus Becker, leitender MTRA des Uniklinikums Regensburg nach.

Um Aufschluss über den Schaden an den Bändern eines Sprunggelenks beispielsweise nach einem Sportunfall zu bekommen, werden von den radiologischen Abteilungen immer wieder gehaltene Aufnahmen des Sprunggelenks angefordert. Bei diesem für den Patienten sehr schmerzhaften Untersuchungsverfahren werden Aufnahmen in zwei Ebenen angefertigt.

Die AP-Aufnahme, um die laterale Aufklappbarkeit zu testen, und die seitliche Aufnahme, um den Talusvorschub zu testen. Bei diesen Aufnahmen wird die Ferse für die Röntgenuntersuchung fest eingeschraubt und ein Gegendruck von 15 kp auf den Unterschenkel ausgeübt. Je stärker das Sprunggelenk in der Röntgenuntersuchung auseinanderklappt bzw. sich der Talus gegenüber dem Unterschenkel verschiebt, desto größer ist der Schaden an den Bändern. Allerdings ist das Verfahren umstritten und nicht ohne Grund: Denn selbst eine positive Diagnose hat in den meisten Fällen keinen Einfluss auf die klinische Therapie.

„Heutzutage werden immer weniger Bänderrisse operiert, sondern meistens erfolgt eine konservative Therapie mit einer Ruhigstellung des Fußes. Die schmerzhafte Diagnostik hat also keinerlei klinische Konsequenzen. Insofern ist die Frage sehr berechtigt, in welchen Fällen die gehaltene Aufnahme überhaupt sinnvoll ist“, erklärt Claus Becker.

Der Vorteil der gehaltenen Aufnahme ist das standardisierte Verfahren, das eine Reproduzierbarkeit der Untersuchungsergebnisse zum Beispiel bei Verlaufsuntersuchungen, etwa für Gutachten, möglich macht. Argumente, die gegen die Funktionsuntersuchung sprechen, sind die Schmerzhaftigkeit, die fehlende klinische Konsequenz und die Strahlenbelastung für den Patienten. „Im Grunde kann die Prozedur dem Patienten eigentlich erspart bleiben, denn ein Bänderriss ist ebenso gut im Ultraschall wie im MRT zu sehen“, sagt der leitende MTRA.

Die Aussagekraft dieses Verfahrens ist nach Ansicht von Becker beschränkt. Viele Menschen, häufig Frauen, haben sehr lockere Bänder und damit eine verstärkte Aufklappbarkeit, die nicht verletzungsbedingt ist. Um ein eindeutiges Untersuchungsergebnis dieser Gelenke bei einer gehaltenen Aufnahme zu bekommen, müsste eine Vergleichsröntgenaufnahme des anderen Fußes gemacht werden, was allerdings eine noch höhere Strahlenbelastung sowie noch mehr Schmerzen für den Patienten bedeuten würde. Ein erfahrener Unfallchirurg oder Orthopäde kann zudem bei der klinischen Erstuntersuchung durch manuell durchgeführte Aufklapptests ohne Röntgen erkennen, ob eine Schädigung der Bänder vorliegt oder nicht. Eine Röntgenuntersuchung wird nur noch angefordert um festzustellen, ob ein knöchernes Trauma oder ein Bandaufriss vorhanden ist.

Claus Becker

Retrospektive Studien haben gezeigt, dass die Heilungschancen bei der operativen und konservativen Therapie des Bänderrisses gleich sind. Die konservative Therapie ist im Grunde schonender, da der Patient nicht die Operationsprozedur durchlaufen muss. Die Orientierungshilfe der Strahlenschutzkommission sieht zwar beim Bänderriss keine Röntgenaufnahme vor, aber noch wird von Chefarzt zu Chefarzt unterschiedlich entschieden, ob eine gehaltene Aufnahme gemacht wird oder nicht.

Im Universitätsklinikum Regensburg wird die gehaltene Untersuchung seit einem Jahr nicht mehr regelhaft durchgeführt, sofern ein erfahrener Kliniker den Patienten untersuchen kann. „Selbst bei einer Betäubung, die in manchen Häusern gegeben wird, ist die Untersuchung noch sehr schmerzhaft. Deshalb sollten Patienten gegebenenfalls dazu ermutigt werden, die Untersuchung abzulehnen“, so Becker.

Profil: Claus Becker machte seine Ausbildung zum medizinisch-technischen Röntgenassistenten von 1994 bis 1997 im Klinikum Großhadern in München. 1997 wechselte er an das Universitätsklinikum Regensburg. Seit 2008 ist der 40-Jährige dort leitender MTRA.


Dieser Artikel wurde zuerst vom European Hospital Verlag veröffentlicht und wurde MTA-R.de freundlicherweise überlassen. Lesen Sie weitere Beiträge zur diagnostischen Bildung und MTRA auf https://healthcare-in-europe.com/de/diagnostische-bildgebung/


Ergänzend zum obigen Beitrag noch ein Auszug aus der neu erarbeiteten AWMF-Leitlinie Unfallchirurgie - Letztes Bearbeitungsdatum: 08.08.2017 für die frische Außenbandruptur am Oberen Sprunggelenk:


Punkt 4.2 Apparative Diagnostik:

Notwendige apparative Untersuchungen:

Konventinelle Röntgenaufnahmen ¹

  • OSG a.p. (20° Innenrotation = “mortise view“) und seitlich.

¹ Algorithmus zur Reduktion der Anzahl von Röntgenaufnahmen („Ottawa Ankle Rules“)

Bei subtiler klinischer Untersuchung lässt sich mithilfe definierter Kriterien (Stiell et al. 1993) eine Fraktur mit hoher Sicherheit ausschließen:

  • fehlende Schmerzen im Außen- oder Innenknöchel
  • fehlende Schmerzen im Mittelfuß
  • fehlende Schmerzen bei Palpation der Hinterkante von Außen- und Innenknöchel
  • mindestens 4 schmerzfreie Schritte

Die „Ottawa Ankle Rules“ wurden in internationalen klinischen Studien validiert (Markert et al. 1998, Bachmann et al. 2003) und weisen bei gepoolter Datenanalyse eine Sensitivität von 99% bei einer Spezifität von 35% auf (Beckenkamp et al. 2017). Es wurde geschätzt, dass sich bei konsequenter Anwendung die Anzahl unnötiger Röntgenaufnahmen um 30- 40% reduzieren lässt (Bachmann et al. 2003). Die Validierung an einem deutschen Patientenkollektiv ergab eine Sensitivität von 94% bei einer Spezifität von 17% bei geschätzter Einsparung von lediglich ca. 15% der Röntgenaufnahmen (Chandra & Schafmeyer 2001). Die „Ottawa Ankle Rules“ kommen in Deutschland nicht routinemäßig zum Einsatz.

(Anm. der Red.: "Warum eigentlich nicht?")

Im Einzelfall nützliche apparative Untersuchungen

Dynamische Ultraschallprüfung der OSG-Stabilität (Friedrich et al. 1990, Hofmann et al. 1993, Milz et al. 1998, Margetic et al. 2009) ....

Gehaltene Röntgenaufnahmen a.p. und seitlich in Lokalanästhesie (standardisiert im Haltegerät [z.B. Telos] unter 15 kp Vorlast oder manuell gehalten).

  • Beurteilungskriterien: Talusvorschub, Taluskippung, Seitenvergleich (beim Verdacht auf chronische Instabilität)
  • Gehaltene Aufnahmen werden aufgrund relativ niedriger Sensitivität, der Notwendigkeit einer zusätzlichen Leitungsanästhesie und fehlender therapeutischer Konsequenz bei akuter Verletzung nicht routinemäßig durchgeführt (van Dijk et al. 1996, Frost und Amendola 1999, Hoffmann et al. 2012). Sie sind jedoch im Einzelfall nützlich beim Verdacht auf Vorliegen einer chronischen Instabilität oder generellen Bandlaxität, insbesondere zur Unterscheidung zwischen funktioneller und mechanischer Instabilität (Povacz et al. 1998, Jarde et al. 1999, Kerkhoffs et al. 2003, Pihlajamäki et al. 2010). Bei grenzwertigen Befunden und unklarer Anamnese sollte auch die Gegenseite als Kontrolle hinzugezogen werden. Allerdings ist die Wertigkeit gehaltener Aufnahmen auch bei chronischer Instabilität nicht gesichert (Chandnani et al. 1994, Frost & Amendola 1999)

MRT bzw. CT nur in Ausnahmefällen

  • zum Nachweis von Begleitverletzungen (Peronealsehnenläsionen, osteochondrale Frakturen, Syndesmosenverletzungen) sowie zur Determinierung einer konstitutionellen Rückfußdeformität (vanBergeyk et al. 2002, Oae et al. 2010, Endele et al. 2012)

Arthroskopie bei Verdacht

  • auf osteochondrale Begleitverletzungen (VanDijk et al. 1996)

Diese weiterführenden Untersuchungen sind bei erheblichem Trauma mit ausgeprägter Klinik, unklarem Verletzungsmechanismus bzw. bei Beschwerdepersistenz über mehrere Tage indiziert, um relevante Begleitverletzungen darzustellen.

Siehe auch den MTA-R.de Beitrag: Knöchel verstaucht! - Wann muss geröntgt werden?


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