Kindesmisshandlung

Wenn hinter dem "Sturz" mehr steckt

Karl-Heinz Szeifert 19 Dec, 2018 00:00

Bei der Aufdeckung einer Kindesmisshandlung kommt der Kinderradiologie eine Schlüsselrolle zu. Ob die Verletzung eines Kindes durch Unfall oder Gewalt entstanden ist, kann meist erst mit Hilfe von Sonographie, Röntgen, Magnetresonanz- bzw. Computertomografie beurteilt werden.

Ein Bericht von Michael Krassnitzer

„Jeder Radiologe, der im Notfalldienst mit Kindern zu tun hat, muss über das notwendige Grundwissen betreffend Kindesmisshandlung verfügen“, betont Dr. Kurt Vollert, Funktionsbereichsleiter Kinderradiologie an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Augsburg.

„Bei Kinderradiologen ist das Erkennen typischer Verletzungsmuster Teil der Ausbildung“, bekräftigt der Kinderradiologe: „Nicht auf Kinder spezialisierte Radiologen, die im notfallmedizinischen Rahmen unter anderem auch Kinder untersuchen, müssen sich das notwendige Grundwissen durch Kurse oder Bücher aneignen.“ Eine andere Möglichkeit bietet die Telemedizin: Im Raum Augsburg etwa ist es üblich, dass Krankenhäuser ohne Kinderradiologie telemedizinisch die dortige kinderradiologische Abteilung konsultieren, sobald der Verdacht auf eine Misshandlung besteht. „Technisch ist das heutzutage überhaupt kein Aufwand“, so Vollert.

In einem speziellen Vortragsblock referiert Vollert als Vertreter der Augsburger Kinderradiologe auf dem Bayerischen Röntgenkongress über die typischen Anzeichen von Gewalt gegen Kinder. In der Mehrzahl der Fälle äußert der behandelnde Arzt den Verdacht auf Misshandlung, manchmal wird die Misshandlung jedoch erst im Rahmen einer bildgebenden Untersuchung zufällig entdeckt. „Der klassische Fall: Man macht eine Röntgenaufnahme der Lunge und stellt zum Beispiel ältere Rippenfrakturen fest. Das ist hochverdächtig“, erklärt Vollert.

Zu den typischen Verletzungen infolge von Misshandlung zählen Extremitätenfrakturen bei Säuglingen, die sich noch nicht eigenständig fortbewegen können und bei denen deshalb ein Unfall als Ursache unwahrscheinlich ist, oder Rippenfrakturen und Brüche der Extremitäten, sofern keine Krankheit bekannt ist, die Einfluss auf die Knochenstabilität hat. Rippenfrakturen oder Organverletzungen deuten häufig auf ein bewusstes Zusammendrücken des Brustkorbs hin.

Eine der häufigsten Folgen nach Misshandlung ist das Schütteltrauma, das entsteht, wenn das Kind am Brustkorb gehalten und massiv geschüttelt wird, so dass der Kopf heftigen Schleuderbewegungen ausgesetzt ist. Die Folge sind oft Subduralhämatome, Blutergüsse unter der Hirnhaut, die nur mit bildgebenden Verfahren zu erkennen sind.

Entsprechend den Leitlinien der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR) werden bei Verdacht auf Misshandlung standardmäßig folgende bildgebende Verfahren durchgeführt: Ein sogenannter Ganzkörperstatus, bestehend aus Röntgenaufnahmen des Schädels in zwei Ebenen, eine Thoraxaufnahme, Beckenübersichtsaufnahme, Aufnahmen der oberen und unteren Extremitäten in einer Ebene und eine Aufnahme der Wirbelsäule seitlich. Dann folgt ergänzend eine Ultraschalluntersuchung des Schädels und des Abdomens. Wenn aufgrund des Alters des Kindes die Hirnstrukturen nicht mehr schallbar sind, kommt die Kernspintomographie zum Einsatz.

„Kindesmisshandlung ist ein hochsensibles Thema“, betont Vollert. Um Kinder nicht zu traumatisieren und um nicht etwa Eltern zu Unrecht zu beschuldigen, wird jeder Verdachtsfall in einer speziellen Kinderschutzgruppe ausführlich besprochen, wie es sie vor allem an Kinderkliniken gibt. Dieses Expertengremium besteht aus Medizinern mehrerer Fachrichtungen – in Augsburg sind dies: Neuropädiatrie, Kinderchirurgie, Kinder- und Jugendgynäkologie, Kinderradiologie, Intensivmedizin, Rechtsmedizin – sowie Vertretern der Pflege, Psychologen und Sozialarbeitern. „Erst wenn sich der Verdacht in diesem Expertenkreis erhärtet, werden die Polizei und/oder das Jugendamt verständigt“, resümiert Vollert.


Profil:

Dr. Kurt Vollert ist seit 2006 Funktionsbereichsleiter Kinderradiologie an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Augsburg.

Nach dem Medizinstudium in München und Innsbruck absolvierte es seine Facharztausbildung für Diagnostische Radiologie am Klinikum seiner Geburtsstadt Augsburg, zusätzlich erwarb er die Schwerpunktbezeichnung Kinderradiologie.

Einer seiner Schwerpunkte ist die Abklärung pathologischer Prozesse am Zentralnervensystem und Bewegungsapparat von Kindern mittels MRT.


Dieser Artikel wurde zuerst vom European Hospital Verlag veröffentlicht und wurde MTA-R.de freundlicherweise überlassen. Lesen Sie weitere Beiträge zur diagnostischen Bildung und MTRA auf https://healthcare-in-europe.com/de/diagnostische-bildgebung/

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