Geschichte der Radiologie

Erste Strahlenschäden und die Anfänge im Strahlenschutz

Karl-Heinz Szeifert 18 Feb, 2019 00:00

Die Geschichte des Strahlenschutzes beginnt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit der Erkenntnis, dass ionisierende Strahlung aus natürlichen und künstlichen Strahlenquellen eine schädigende Wirkung auf lebende Organismen haben kann.

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Die Entdeckung von Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 führte zu ausgedehnten Experimenten von Wissenschaftlern, Ärzten und Erfindern. Die ersten Röntgenapparate erzeugten für die Bildgebung höchst ungünstige Strahlungsspektren mit extrem hoher Hautdosis.

Der Umgang damit erfolgte anfänglich sehr leichtfertig. Eine Gefährdung durch Röntgenstrahlung wurde lange Zeit nicht erkannt und der Strahlenschutz vernachlässigt.

Die ersten Opfer waren die Radiologen, die als „Märtyrer“ des radiologischen Fortschritts in die Medizingeschichte eingingen. Viele von ihnen mussten wegen Strahlenschäden Amputationen erleiden oder verstarben an Krebserkrankungen. Die Anwendungen von radioaktiven Substanzen im Alltag galten als „chic“. Nach und nach erst wurden die gesundheitlichen Auswirkungen bekannt, ihre Ursachen ergründet und das Bewusstsein für Schutzmaßnahmen geschärft.

Märtyrer für die Wissenschaft

Im Februar 1896 führten John Daniel und William Lofland Dudley von der Vanderbilt University ein Experiment durch, bei dem Dudleys Kopf durchleuchtet wurde, was zum Haarausfall führte. Herbert D. Hawks, ein Absolvent der Columbia University, erlitt schwere Hand- und Brustverbrennungen bei Röntgen-Demonstrationsexperimenten. Es wurde in Fachzeitschriften über Verbrennungen und Haarausfall berichtet. So warnte Nikola Tesla als einer der ersten Forscher bereits im Mai 1897 ganz ausdrücklich vor dem Gefahrenpotenzial der Röntgenstrahlen — nachdem er ihnen anfangs noch absolute Unbedenklichkeit zugeschrieben hatte. Er musste selbst massive Strahlenschäden nach seinen Testversuchen am eigenen Leib erfahren. Trotzdem behaupteten zu dieser Zeit noch manche Ärzte, dass Röntgenstrahlung gar keine Wirkungen auf den Menschen habe. Es wurden noch bis in die 1940er Jahre Röntgen-Einrichtungen ohne jede Schutzvorkehrung betrieben.

Röntgen selbst wurde das Schicksal der anderen Röntgenstrahlenanwender durch eine Angewohnheit erspart. Er trug die unbelichteten Photoplatten ständig in seinen Taschen mit sich herum und stellte fest, dass diese belichtet wurden, wenn er während der Strahlenexposition im selben Raum blieb. So verließ er regelmäßig das Zimmer bei der Anfertigung von Röntgenaufnahmen.

Die Anwendung der Röntgenstrahlen bei der Diagnose in der Zahnheilkunde wurde durch die Pionierarbeit von C. Edmund Kells ermöglicht, der diese bereits im Juli 1896 vor Zahnärzten vorführte. Kells verübte Suizid nach einer langen Leidensgeschichte durch strahlenverursachten Krebs. Ihm war ein Finger nach dem anderen amputiert worden, später die ganze Hand, gefolgt vom Unterarm und dann dem ganzen Arm.

Otto Walkhoff , einer der bedeutendsten deutschen Zahnärzte der Geschichte, führte ebenfalls 1896 Röntgenaufnahmen im Selbstversuch durch und gilt als Pionier der zahnärztlichen Röntgenologie. Er bezeichnete die notwendige Expositionszeit von 25 Minuten „als eine Tortur“. Er erprobte ebenso im Selbstversuch 1898 – demnach im Jahr der Entdeckung des Radiums – den Radiumeinsatz in der Medizin unter Anwendung einer heute unvorstellbaren Menge von 0,2 g Radiumbromid. Walkhoff beobachtete, dass krebskranke Mäuse, die einer Radiumstrahlung ausgesetzt wurden, signifikant später starben als eine Vergleichsgruppe unbehandelter Mäuse. Er leitete damit die Entwicklung der Strahlenforschung zur Behandlung von Tumoren ein.

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Der armenisch-amerikanische Radiologe Mihran Krikor Kassabian, befasste sich mit den Reizwirkungen von Röntgenstrahlen. In einer Veröffentlichung erwähnte er die zunehmenden Probleme mit seinen Händen. Obwohl Kassabian die Röntgenstrahlen als Ursache erkannte, vermied er es, diesen Bezug herzustellen, um den Fortschritt in der Radiologie nicht zu behindern. 1902 erlitt er eine schwere Strahlenverbrennung an der Hand. Sechs Jahre später wurde die Hand nekrotisch und zwei Finger seiner linken Hand wurden amputiert. Kassabian führte ein Tagebuch und fotografierte seine Hände, als die Gewebeschäden voranschritten. Er starb 1910 an den Krebsfolgen.

Viele der frühen Röntgen- und Radioaktivitätsforscher gingen als „Märtyrer für die Wissenschaft“ in die Geschichte ein. Sarah Zobel von der University of Vermont verweist in ihrem Artikel The Miracle and the Martyrs auf ein Bankett, das zu Ehren vieler Pioniere des Röntgens im Jahre 1920 abgehalten wurde: „Kurz nachdem das Essen serviert war, konnte man sehen, dass einige der Teilnehmer nicht in der Lage waren, die Mahlzeit zu genießen. Nach Jahren der Arbeit mit Röntgenstrahlen hatten viele Teilnehmer Finger oder Hände wegen der Strahlenexposition verloren und konnten das Fleisch nicht selbst schneiden."

Der erste Amerikaner, der wegen der Strahlenexposition starb, war Clarence Madison Dally , Assistent von Thomas Alva Edison. Edison begann Röntgenstrahlen fast unmittelbar nach Röntgens Entdeckung zu untersuchen und delegierte diese Aufgabe an Dally. Im Laufe der Zeit musste Dally sich auf Grund der Strahlenschäden über 100 Hautoperationen unterziehen. Schließlich mussten ihm beide Arme amputiert werden. Sein Tod veranlasste Edison im Jahr 1904 jegliche weitere Röntgenforschung aufzugeben.

Zu den Pionieren zählte auch der Österreicher Gustav Kaiser, dem 1896 die Aufnahme einer Doppelzehe mit 1½–2 Stunden Belichtungszeit gelang. Auch er hatte aufgrund des noch geringen Wissens ausgeprägte Strahlenschäden an den Händen und verlor mehrere Finger und die rechte Mittelhand. Seine Arbeiten waren unter anderem Grundlage für die Konstruktion von Bleigummischürzen.

Heinrich Albers-Schönberg, der erste Lehrstuhlinhaber für Röntgenkunde weltweit, empfahl 1903 den Gonadenschutz für Hoden und Ovarien. Er war damit einer der ersten, der die Keimzellen nicht nur vor akuten Strahlenschäden schützte, sondern auch vor kleinen Strahlendosen, die mit der Zeit kumulieren und Spätschäden auslösen können. Auch Albers-Schönberg starb 56-jährig an den Folgen von Röntgenschädigungen

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Ein Ehrenmal der Radiologie im Garten des Krankenhauses St. Georg in Hamburg-St. Georg erinnert seit dem 4. April 1936 an 359 Opfer aus 23 Ländern unter den ersten medizinischen Anwendern der Röntgenstrahlung.

Erste Warnungen wurden lange Zeit ignoriert

1896 empfahl der Ingenieur Wolfram Fuchs aufgrund seiner Erfahrungen mit zahlreichen Röntgenuntersuchungen, die Strahlzeit möglichst kurz zu halten, von der Röhre Abstand zu halten und die Haut mit Vaseline abzudecken – dies war weltweit die erste derartige Veröffentlichung.

Die Chicagoer Ärzte William Fuchs und Otto Schmidt waren 1897 die ersten Anwender, die einem Patienten wegen Strahlenschäden Schadensersatz leisten mussten.

Der Zahnarzt William Herbert Rollins forderte im Jahr 1901, dass bei der Arbeit mit Röntgenstrahlen Schutzbrillen mit Bleiglas getragen werden sollten, die Röntgenröhre mit Blei zu umschließen sei und alle Bereiche des Körpers mit Bleischürzen bedeckt sein müssten. Er veröffentlichte über 200 Artikel über die möglichen Gefahren der Röntgenstrahlen, jedoch wurden seine Vorschläge lange Zeit ignoriert. Ein Jahr später schrieb Rollins voller Verzweiflung, dass seine Warnungen über die mit Röntgenstrahlen verbundenen Gefahren sowohl von der Industrie als auch von seinen Kollegen nicht beachtet würden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rollins bereits nachgewiesen, dass Röntgenstrahlen Versuchstiere töten können und Fehlgeburten bei Meerschweinchen verursachen. Rollins Verdienste wurden erst spät anerkannt. Seitdem ging er als „Vater des Strahlenschutzes“ in die Geschichte der Radiologie ein.

Der Strahlenschutz entwickelte sich weiter durch die Erfindung neuer Messgeräte wie des Chromoradiometers von Guido Holzknecht im Jahr 1902, des Radiometers von Raymond Sabouraud und Henri Noiré in den Jahren 1904/05 sowie des Quantimeters von Robert Kienböck im Jahr 1905. Damit konnten Maximaldosen angegeben werden, bei denen mit größter Wahrscheinlichkeit noch keine Hautveränderungen auftraten. Auch Radium wurde durch die British Roentgen Society einbezogen, die 1921 ein erstes Memorandum veröffentlichte, das speziell auf Radiumschutz ausgerichtet war.

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Eine einschneidende Veränderung in Bezug auf Strahlenschutz erfolgte aber erst nach den Atombombenabwürfen im Zweiten Weltkrieg. Zunehmend erkannte man auch die Folgen der natürlichen „kosmischen Strahlung“, die Auswirkungen von in der Umwelt vorkommenden radioaktiven Substanzen wie Radon und Radium sowie die möglichen Gesundheitsschädigungen durch nicht ionisierende Strahlung. Weltweit wurden Schutzmaßnahmen erarbeitet und eingeführt, Geräte zur Überwachung entwickelt sowie Gesetze und Strahlenschutzbestimmungen erlassen.

Im 21. Jahrhundert unterliegen die Bestimmungen einer zunehmenden Verschärfung. Insbesondere die zulässigen Grenzwerte für die Stärke ionisierender Strahlung erfahren weitere Korrekturen hin zu kleineren Werten. Auch der Begriff des Strahlenschutzes wird weiter gefasst, er enthält nunmehr auch Vorschriften zum Umgang mit nichtionisierender Strahlung.

In der Bundesrepublik Deutschland werden sämtliche Strahlenschutzbestimmungen durch das Bundesamt für Strahlenschutz erarbeitet und erlassen, in der Schweiz ist die Abteilung Strahlenschutz des Bundesamts für Gesundheit und in Österreich das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus zuständig.


Quelle: Wikipedia - Geschichte des Strahlenschutzes


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