Prof. Dr. W. Heindel zum Mammographie-Screening

Chancen und Risiken des Mammographie-Screenings

radiologie|technologie Heft 3 2017

Ein Interview mit Prof. Dr. Walter Heindel, der zu den Pionieren des Mammographie-Screening-Programms (MSP) in Deutschland zählt.

Im Interview berichtet der Direktor des Instituts für Klinische Radiologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität MünsIm Interview berichtet der Direktor des Instituts für Klinische Radiologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Leiter des Referenzzentrums Mammographie von den Chancen, Risiken sowie zukünftigen Entwicklungen des bundesweiten Screening-Programms. Und darüber hinaus – aus sehr persönlicher Sicht – warum Frauen diese Diagnostik annehmen sollten.ter und Leiter des Referenzzentrums Mammographie von den Chancen, Risiken sowie zukünftigen Entwicklungen des bundesweiten Screening-Programms. Und darüber hinaus – aus sehr persönlicher Sicht – warum Frauen diese Diagnostik annehmen sollten.


Das Mammographie-Screening-Programm gibt es in Nordrhein-Westfalen bereits seit mehr als zehn Jahren. Inwieweit kann man sagen, dass das Hauptziel des Programms – die Reduzierung der Sterblichkeit an Brustkrebs – erreicht wurde?

Den tatsächlichen Effekt können wir aus epidemiologischen Gründen erst 2020 zeigen. Wir sind aber zunehmend davon überzeugt, dass er eintreten wird. Alle Parameter, die man dazu bisher messen kann, belegen, dass das deutsche Brustkrebs-Früherkennungs-Programm die Vorgaben der europäischen Leitlinien für Brustkrebsdiagnostik erfüllt. Zum Beispiel, dass wir im Laufe der Screening-Runden zunehmend frühe Brustkrebs-Stadien finden. Noch wichtiger aber ist – das haben wir in unserer Arbeitsgruppe in einer Studie zeigen können – dass insbesondere die Zahl der großen, fortgeschrittenen oder gestreuten und deshalb für die betroffene Frau gefährlicheren Karzinome in der Folgerunde abnimmt.

Das heißt, erkrankte Frauen haben durch die Screening-Teilnahme eine bessere Prognose?

Genau. Wir haben gezeigt, dass Frauen, die wiederholt am Screening-Programm teilnehmen und erkranken, eine statistisch signifikant günstigere Aussicht auf Heilung haben als diejenigen, die nicht teilnehmen. Es gibt ja Kritiker des Programms, darunter auch Onkologen die sagen, wir brauchen das alles nicht, wir haben eine zunehmend wirkungsvollere Therapie heutzutage, neue moderne Chemotherapeutika oder auch die Immuntherapie. Der Effekt, den wir aber jetzt zeigen konnten, der setzt schon vorher auf der Ebene der Diagnostik an. Der gezeigte Effekt einer Abnahme fortgeschrittener Tumorstadien unter den Teilnehmerinnen ist die letzte Stufe, bevor man den Sterblichkeitsaspekt belegen kann. Das aber werden die Epidemiologen aus methodischen und mammapathologischen Gründen erst ab dem Jahr 2020 können.

Wie wichtig ist dabei, dass die Frauen das MSP wirklich regelmäßig wahrnehmen?

Das ist unbedingte Voraussetzung. Das zeigen alle Studien zum Thema MSP. Die Vorteile des Screenings ergeben sich insbesondere, wenn man systematisch immer wieder das Screening-Netz auswirft. Es gibt ja Frauen, die sagen, „na, ja, dazwischen gehe ich mal nicht hin, aber nach vier Jahren wieder“. Die haben nicht so viel Gewinn, wie Frauen, die regelmäßig dabei sind.

Wie beschreiben Sie die konkreten Vorteile des Screenings für Frauen?

Wir sehen vor allem drei große Vorteile:

  1. dass die Brust immer häufiger im Rahmen der Operation erhalten werden kann, weil der Tumor noch klein ist.
  2. dass die Achsel-Lymphknoten immer häufiger tumorfrei sind, also ohne Metastasierung, was prognostisch für die Patientin sehr wichtig ist.
  3. dass damit auch die Zahl der Chemotherapien zurückgeht, weil der entdeckte Tumor mit weniger belastenden Therapien behandelt werden kann.

Zu den Nachteilen zählt die Möglichkeit eines falsch-positiven Befundes. Dazu muss man erst erklären, was Screening genau ist: eine Suchmethode, die zunächst nur „normal“ und „nicht normal“ unterscheidet. „Nicht normal“ bedeutet, dass der Befund noch einmal mit ergänzenden Methoden aufgearbeitet werden muss. Ob die Auffälligkeit im Bild wirklich bösartig ist oder warum sie nicht normal ist, kann aufgrund des Screening-Mammogramms nicht eindeutig eingeschätzt werden. Wenn sich am Ende zeigt, dass es sich um eine gutartige Gewebeveränderung handelt, spricht man von einem falsch-positiven Befund. Statistisch betrachtet sind unter 200 Untersuchungen etwa fünf auffällige Befunde. Das löst natürlich bei den betroffenen Frauen, die zu einer ergänzenden Abklärung eingeladen werden, Ängste aus. In der nachfolgenden Abklärungsdiagnostik findet sich dann tatsächlich bei vier von fünf Frauen auch nichts Besorgniserregendes.

Bei zwei Frauen müssen wir eine Gewebeprobe entnehmen. Und bei einer von fünf Frauen handelt es sich wirklich um ein Karzinom. So ungefähr stellen sich die Verhältnisse nach wiederholter Teilnahme am Screening dar. Dieser Kritikpunkt wird meiner Meinung nach ein wenig hochgejubelt.

Ein anderer Kritikpunkt ist das Stichwort Überdiagnose. Gemeint ist: Man entdeckt einen Tumor oder eine Brustkrebsvorstufe – der Tumor wäre ohne gezielte Diagnostik durch klinische Symptome allerdings nie gefunden worden und die Frau wäre demnach daran auch nicht gestorben. Ob es sich um eine Überdiagnose handelt, ist im Individualfall nur im Nachhinein bestimmbar.

Keiner von uns ist Hellseher. Darum ist diese Diskussion auch eine schwierige. Nach realistischen Abschätzungen ist davon auszugehen, dass etwa 6 bis 10 Prozent aller Tumordiagnosen sogenannte Überdiagnosen sind.

Kann es sein, dass im Screening ein Tumor nicht entdeckt wird?

Mit jeder Untersuchungsmethode kann ein Tumor übersehen werden. Das ist ein weiterer Punkt, über den man offen sprechen muss. Man spricht dann von einem sogenannten falsch-negativen Befund. Durch moderne, arbeitstäglich überprüfte Mammographie-Technik und besondere Schulung aller Screening-Teams, also der radiologischen Fachkräfte wie der beteiligten Ärzte versucht man, die Zahl dieser falsch-negativen Befunde so klein wie möglich zu halten. Dazu dient auch das Prinzip Doppelbefundung – obligat wird jede Screening-Mammographie von mindestens zwei Ärzten unbeeinflusst voneinander analysiert. Vier Augen sehen mehr als zwei - allein dieses Vorgehen führt zu einer mindestens fünfzehnprozentig höheren Tumorerkennungsrate, als wenn nur ein Arzt die Aufnahmen auswerten würde.

Wie häufig gibt es falsch-negative Befunde?

Für Deutschland können wir noch keine exakte Zahl angeben, wir sind aber daran, dies zu ermitteln. Für das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen konnten wir mit Hilfe des Epidemiologischen Krebsregisters NRW zeigen, dass durch das Mammographie-Screening-Programm, bezogen auf die nachfolgende Zwei-Jahres-Lebensperiode der teilnehmenden Frau, 78 Prozent aller Mammakarzinome durch das Früherkennungsprogramm entdeckt werden. 22 Prozent aller Mammakarzinome treten danach, also im Intervall zwischen zwei Screening-Runden auf; am häufigsten, weil sie erst nach dem Screening entstehen und deshalb noch nicht entdeckt werden können.

Diese sogenannten echten Intervallkarzinome sind nicht zu vermeiden und sind häufig sehr aggressive, schnell wachsende Tumoren. Nur ein kleiner Teil dieser sogenannten Intervallkarzinome – nach Analysen im europäischen Ausland um die 20 Prozent – sind darauf zurückzuführen, dass die befundenden Ärzte einen auffälligen Befund nicht erkannt oder nicht richtig eingeschätzt haben oder ein technischer Fehler nicht korrigiert wurde, also zum Beispiel die Brust nicht komplett abgebildet wurde und deshalb ein Tumor nicht dargestellt war.

Manche halten die Magnetresonanztomographie (MRT) für das bessere Diagnoseverfahren als die Mammographie.

Ja, es gibt Stimmen, die sagen, man müsste die MRT für das Screening einsetzen. Auch weil sie ohne Röntgenstrahlen arbeitet. Andererseits ist sie im Verhältnis aufwändig und teurer. Und es ist ein Kontrastmittel für die Untersuchung notwendig. Vielleicht kommt es dann aber auch zu noch mehr falsch-positiven Befunden oder Überdiagnosen. Ich halte die MRT für ein sehr gutes Untersuchungsverfahren, ihr Wert als Screening-Verfahren mit Bevölkerungsansatz muss aber erst einmal wissenschaftlich belegt werden.

Bei den Hochrisiko-Frauen gehört die Technik ja zur Standard-Diagnostik.

Zu Recht, meiner Meinung nach. Und zwar für Frauen wie Angelina Jolie, die durch einen ererbten Gendefekt ein überdurchschnittliches Brustkrebs-Risiko haben – teilweise bis zu 70 bis 80 Prozent. Für sie gibt es in Deutschland die sogenannte intensivierte Früherkennung mit der MR-Mammographie. Die beinhaltet in Abhängigkeit vom Alter zudem die Sonographie und Mammographie Der nächste Schritt muss sein, dass wir zeigen, dass das Programm der intensivierten Früherkennung die Sterblichkeit senkt.

Bei besonders dichtem Brustdrüsengewebe hat die Mammographie ihre Grenzen?

Ja, wobei sehr dichtes Gewebe mit dem Grad 4 ab 50 Jahren, also Frauen im MSP, wirklich die Ausnahme ist. Die digitale Mammographietechnik, die heute im Screening Standard ist, durchdringt dichtes Gewebe inzwischen viel besser als die analoge Röntgentechnik noch vor zehn Jahren. Wir haben gerade in Münster analysiert, ab welcher Dichte die mammographische Sensitivität zurückgeht. Wir haben gefunden - anders als man das so liest - dass eine Sensitivitätseinschränkung nur bei extrem dichtem Drüsengewebe der Stufe 4 auftritt. Bei Frauen mit einer Dichte 1–3 haben wir keinen wesentlichen Unterschied in der Programmsensitivität gefunden. In unserer Studie ist nur bei fünf Prozent der Frauen das Mammographie-Screening-Programm mit einem zweijährigen Intervall deutlich unterdurchschnittlich. Bei diesen Frauen muss man darüber nachdenken, ob man ihre Diagnostik ergänzt.

An welche Ergänzungen zur Mammographie denken Sie?

Da kommen der Ultraschall und eine Fortentwicklung der Mammographie, die Tomosynthese infrage. Und als drittes Verfahren vielleicht auch die MR-Mammographie. Es ist zu diskutieren, was sinnvoll ist und welches Untersuchungsverfahren – Stichwort falsch-positiv – auch nicht wieder zu viele weiter abklärungsbedürftige Befunde liefert, die ggf. sogar punktiert werden müssen, aber letztendlich ohne krankhaftes Ergebnis.

Den einen Weg der radiologischen Mammadiagnostik gibt es also noch nicht?

Früherkennung ist immer eine Gratwanderung zwischen Nutzen und Schaden. Daher muss man die Fakten kontinuierlich evaluieren und bewerten. Gerade in einem so transparenten und qualitätsgesicherten System wie dem Mammographie- Screening lassen sich diese Vor- und Nachteile des Untersuchungsverfahrens mit Zahlen belegen. Doch das Erheben und Auswerten der Ergebnisse braucht Zeit, wird aber durch das Screening erstmals möglich.

Welche Entwicklung erwarten Sie für das Mammographie-Screening-Programm?

Das Screening wird weiterhin die technische Entwicklung der bildgebenden Verfahren auf dem Gebiet der Mammadiagnostik stimulieren. Die nächste Stufe zeichnet sich bereits ab mit der Fortentwicklung der digitalen Mammographie hin zur Tomosynthese, die eine Untersuchung der Brust mit Schichtbildern ermöglicht. Da unsere Gesellschaft immer älter wird, sollten wir überlegen, ob die Screening-Mammographie auch über das 69. Lebensjahr hinaus angeboten werden sollte, zum Beispiel bis 75 Jahre.

Viele Frauen können sich nicht entscheiden – Mammographie-Screening-Programm ja oder nein. Was raten Sie ihnen?

Ich persönlich sehe das so: Es gibt Tumorerkrankungen, die man frühzeitig erkennen und therapieren kann. Dazu gehört meiner Meinung nach beispielsweise Brustkrebs und Darmkrebs. Und dann gibt es andere Krebserkrankungen, da haben wir leider bisher meistens keine Chance der Frühdiagnose wie beispielsweise beim Pankreaskarzinom. Aber bei den anderen Erkrankungen können wir alle aktiv werden – und diese Erkrankungen sind in der Folge auch oft sehr gut zu behandeln. Und da diese Erkrankungen auch zahlenmäßig häufiger vorkommen, sollte man die Früherkennungs-Angebote annehmen. Früherkennung hat nichts mit Krankheit zu tun. Sie soll eher wahrgenommen werden als etwas, das sozusagen zum Leben gehört – was man in gewisser Weise tut, weil man auf sich achtet. Das ist die Idee des Screenings. Wir alle sollten uns gut informieren und dann persönlich entscheiden.

Quelle: Deutsche Röntgengesellschaft (DRG)


Ein Beitrag aus der Zeitschrift "radiologie|technologie" Heft 3/2017 aus dem Schmidt-Römhild-Verlag, Lübeck

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