Aua - Platzwunde oder Beule am Kopf!

Muss ein Kind nach Sturz auf den Kopf geröntgt werden?

Karl-Heinz Szeifert 3 Mar, 2018 17:33

Obwohl gemäß der  Orientierungshilfe für bildgebende Verfahren der SSK (Strahlenschztzkommission) in der Traumatologie kaum noch ein konventionelles Röntgen eines Schädels indiziert ist, werden in vielen Häusern immer noch Schädelaufnahmen angeordnet und durchgeführt. Auch bei Kindern!

Aua - aber gleich röntgen?

Eine Elternanfrage mit eingangs gestellter Frage hat Prof. Dr. med. Reinhard Schuhmacher von der Universitäts-Kinderklinik – Kinderradiologe - Mainz - bereits im Jahr 2005 im Fachmagazin "Kind und Radiologie" Heft 1/2005 beantwortet.

Kinder fallen häufig auf den Kopf. Dabei können sie so heftig aufschlagen, dass einem Beobachter das Blut in den Adern gerinnen mag; eine mehr oder minder große Beule ziert die Stirn. Manchmal erbricht das Kind auch nach einiger Zeit. Was ist zu tun?

Zunächst müssen wir uns klarmachen, dass es nicht die Beule oder das Erbrechen sind, die uns ängstigen, sondern eine eventuell eingetretene Verletzung des Schädelinhaltes: des Gehirns. Wie ist eine Verletzung des Gehirns zu erkennen? An der gestörten Funktion des Gehirns: Grob kann man sagen, dass eine Störung der Hirnfunktionen vorliegt, wenn das Kind nicht mehr geradeaus laufen kann sondern taumelt, abwesend wirkt oder sich sonst auffällig verhält. Das Erkennen weiterer, oft auch diskreter Störungen der Nervenfunktion bedarf einer eingehenden Untersuchung, die dann zu einer Einschätzung der Schwere der Unfallfolgen führt.

Dazu werden drei Funktionsgebiete untersucht: Augenbefunde (ob der Patient gerichtet mit den Augen auf äußere Reize reagiert), Sprachleistung (in welchem Maß der Patient noch in der Lage ist zu sprechen) und motorische Leistungen (inwieweit der Patient auf Ansprache oder Schmerz mit Bewegungen reagiert).

Die Ergebnisse dieser Befunde werden jeweils mit Zahlenwerten klassifiziert und addiert. Dieses relativ einfache, jedoch ausgefeilte Schema, der so genannte Glasgow Coma Wert, gibt eine Einschätzung der Schwere der nervalen Funktionsstörung und wird im klinischen Alltag und auf der Intensivstation standardmäßig verwendet (siehe Tabelle unten). Die Skala reicht von 0 bis 15 und besagt im Einzelnen:

  • über 13: leichtes Hirntrauma,
  • 9 – 12: mittelschweres Hirntrauma
  • 8 und kleiner: schweres Hirntrauma.

Bei mittelschwerem und schwerem Hirntrauma wird der Patient üblicherweise intensivmedizinisch versorgt. Im Rahmen dieser Versorgung wird fast immer eine computertomographische Untersuchung des Hirnschädels durchgeführt, die eine Hirnschwellung oder eine frische Blutung erkennen lässt.

Glücklicherweise betrifft dieser Schweregrad von Hirnverletzungen jedoch nur wenige Kinder, so dass fast alle Kinder, die sich den Kopf angeschlagen haben, in die Kategorie „leichtes Schädel-Hirn-Trauma“ fallen. Diese Patienten müssen einfach nur sehr sorgfältig dahingehend überwacht werden, ob sich ihr Zustand verschlechtert. Sollte dies eintreten, dann wird unverzüglich eine computertomographische Untersuchung des Hirnschädels nötig. Die Röntgenaufnahme des Hirnschädels, um die es in der zu beantwortenden Frage geht, bildet nur den Schädelknochen ab. Das Gehirn, dessen Schädigung jedoch beim Schädeltrauma befürchtet wird, kann damit nicht beurteilt werden. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, einen unauffälligen Patienten mittels CT zu untersuchen, da dabei keine entscheidenden Befunde zu erheben sind.

An dieser Stelle der Antwort will ich kurz vom geradlinigen Gedankengang abweichen und darauf hinweisen, dass die Anwendung von Röntgenstrahlen am Menschen sehr strengen gesetzlichen Auflagen unterworfen ist und diese auch nur Personen erlaubt ist, die eine spezielle Ausbildung nachweisen können. Beim Röntgenfacharzt ist diese in der Weiterbildung enthalten. Laut Gesetz stellt die Anwendung von Röntgenstrahlen auf den Menschen, genauso wie die Operation oder das Geben einer Spritze eine Körperverletzung dar, die nur dann nicht strafrechtlich verfolgt wird, wenn eine „rechtfertigende Indikation“ vorliegt.

Um beim Röntgen eine rechtfertigende Indikation zu haben, muss das Ergebnis der Röntgenaufnahme insgesamt drei Kriterien, und zwar alle, nicht nur einzelne, erfüllen: Sie muss:

1. wesentlich zur Diagnosesicherung beitragen und
2. eine Auswirkung auf die Therapie haben und
3. damit auch eine Auswirkung auf den Heilerfolg haben.

Wird auch nur eines der Kriterien nicht erfüllt, dann besteht keine „rechtfertigende Indikation“ zur Anfertigung einer Röntgenaufnahme und ihre Anfertigung wäre im Klagefall strafbar.

Nach diesem Exkurs zurück zur oben gestellten Frage: Bei einem Schädeltrauma kann es durchaus von Interesse sein, eine Schädelfraktur zu erkennen. Die Behandlung eines Kindes mit einer solchen Fraktur unterscheidet sich jedoch nicht von der eines Kindes ohne Schädelfraktur. Es wird weder ein Verband angelegt noch der Schädel eingegipst. Die Fraktur des Schädeldachs heilt ganz von alleine und der Patient (das Kind) entscheidet selber, wann es wieder seinem natürlichen Drang folgt, also aufsteht und die Welt erforscht. Man kann (Klein-)Kinder nicht gegen ihren Willen ans Bett fesseln.

Da sich also aus der Röntgenaufnahme beim leichten Schädel-Hirn-Trauma keine therapeutischen Konsequenzen ergeben, besteht auch keine Indikation diese anzufertigen.

Falls eine Fraktur unbedingt diagnostiziert oder ausgeschlossen werden soll, so kann bei Kleinkindern auch der Ultraschall zu Hilfe genommen werden. Von dieser Regel gibt es nur wenige Ausnahmen:

  • Beim Abtasten des Schädeldachs nach frischem (wenige Stunden nach Unfall) Trauma findet sich eine fühlbare Impression
  • die Verletzung wurde durch einem „spitzen“ Gegenstand verursacht (Dorn, Hammer...)
  • es besteht eine offene Verletzung mit Verdacht auf Fremdkörper in der Wunde (Glas, Metall...)
  • es besteht eine zusätzliche Verletzung des Gesichtsschädels

Alle diese oben genannten Möglichkeiten führen zu einer anderen, dem Röntgenbefund angepassten Behandlung. Z.B. ein Knochensplitter, der durch die Verletzung etwas nach innen getrieben wurde, wird operativ gehoben; Fremdkörper müssen entfernt werden, damit die Wunde sich nicht entzündet; Gesichtsschädelverletzungen müssen ebenfalls operativ versorgt werden, um nach Abheilung die ursprüngliche Funktion wieder herzustellen oder zu bewahren.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine Röntgenaufnahme des Schädels bei einem Kind mit so genanntem Schädelbagatelltrauma nichts zur Änderung der geplanten Behandlung beiträgt.

Deshalb muss ein Kind nach Sturz auf den Kopf (leichtes Schädel-Hirn-Trauma) auch nicht geröntgt werden.


Prof. Dr. med. Reinhard Schuhmacher war bis 2008 Chefarzt der Kinderradiologe in der Universitäts-Kinderklinik in Mainz


Quelle: "Kind und Radiologie" 2. Jhg., Heft 1/2005


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