"Wer´s glaubt, wird krank"

Der Nocebo-Effekt

rockpop 16 Jul, 2018 00:00

Wie man trotz Gentests, Beipackzetteln und Röntgenbildern gesund bleibt. Warum muntern rosafarbene Pillen auf, was sind Cyberchonder und welche Wirkung haben Röntgenbilder? - Darum geht es in einem Buch von Magnus Heier.

Die Kraft der Gedanken ist so mächtig, dass sie Gesunde krank machen kann! – Nocebo-Effekt nennt sich das Phänomen. Wer morgens Kopfschmerzen googelt, glaubt abends, er habe einen Gehirntumor. Rückenschmerzen werden umso leichter chronisch, je mehr Röntgenbilder ihrer Wirbelsäule die Patienten gesehen haben. Die Erwartung bestimmt den Verlauf mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Es klingt wie Voodoo – und es ist dasselbe Prinzip. Auch wenn in Afrika, vor allem aber in Südamerika, Menschen von einem schwarzen Magier verhext und zum Tode verurteilt werden, dann sterben sie nicht an messbaren Krankheiten, sondern vor Angst – etwa durch ein akutes Versagen des Immunsystems oder der Herz-Kreislauf-Regulation. Keine Gefahr für Europäer, die sind gegenüber einem tanzenden und singenden Magier vermutlich immun – sie brauchen andere Rituale. Etwa einen Schulmediziner in weißem Kittel mit viel Technik. Der schreckliche Satz: „Sie haben noch wenige Monate“, in überzeugendem Tonfall, kann so zu einer sich selbst bestätigenden Prophezeiung werden. Der Patient stirbt, weil er glaubt, er müsse sterben.

Aber es geht beim Nocebo-Effekt nicht nur um Leben und Tod – es geht genauso um den ganz gewöhnlichen Alltag. Um eine Erdnussallergie ohne Erdnüsse. Um Kopfschmerzen durch Telefonmasten, die gar nicht angeschaltet sind. Um Laktoseintoleranz ohne Laktose. Längst ist bekannt, dass das intensive Studium des Beipackzettels eines Medikaments krank macht. Wer die vielen Nebenwirkungen aufmerksam studiert, der bekommt sie mit deutlich erhöhter Wahrscheinlichkeit auch. Beipackzettel sind ein Gesundheitsrisiko – und trotzdem sind sie Pflicht, der Gesetzgeber schreibt es vor. Allerdings wäre es den Herstellern erlaubt, einen zweiten Zettel beizulegen, der die wirklich relevanten Informationen in lesbarer Form zusammenfasst. Und damit die Nebenwirkungen reduziert. Aber nur wenige Pharmafirmen tun das.

Ein scheinbar zerstörte Wirbelsäule kann schmerzfrei sein

Der wohl häufigste Nocebo-Effekt sind Schmerzen. Wer sie erwartet, bekommt sie auch. Viele Schmerzpatienten sind Opfer einer übertriebenen Diagnostik. „Zu viele Röntgen-, CT- und Kernspin-Aufnahmen bei Rückenschmerzen sind nicht nur wegen der Kosten und der Strahlenbelastung problematisch: Sie können auch erheblich dazu beitragen, dass die Schmerzen chronisch werden“, sagt Professor Christoph Maier, Leiter der Schmerztherapie der Bochumer Uniklinik Bergmannsheil. Der Grund: Wenn ein Patient ein Bild seiner kaputten Wirbelsäule als Ursache seiner Schmerzen begreift, dann werden diese mit großer Wahrscheinlichkeit nie mehr verschwinden. Allerdings hat beides nichts miteinander zu tun: Ein radiologisch „gesunder“ Rücken kann massive Schmerzen verursachen, eine scheinbar zerstörte Wirbelsäule symptomfrei sein.

Leider sind die Deutschen Weltmeister der Kernspintomographie: In keinem Land der Welt werden mehr Menschen in die Röhre gelegt. Und Rückenschmerzen sind der häufigste Grund für Krankschreibungen. Ein Teufelskreis und ein klassischer Nocebo-Effekt: Deutschland ist ein Hochrisikoland für Rückenschmerzen – allein wegen der exzessiven Bildgebung.

Es geht auch ohne Schmerzen, auch wer „wichtig“ ist, lebt gefährlich: Denn immer mehr Chefs aus Wirtschaft und Politik werden immer konsequenter von ihren Arbeitgebern zu so genannten „Check-ups“ geschickt. Gesunde werden durchgecheckt, um eventuelle Krankheiten schon in einer frühen Phase zu entdecken. Nur: Selten werden Krankheiten entdeckt, häufig aber Befunde, die nicht bedrohlich, aber ungewöhnlich sind. So genannte „Normabweichungen“ machen aus gesunden Menschen verunsicherte Patienten. „Das ist nicht schlimm, aber das sollten wir beobachten“ ist ein Satz, der krank macht. Lebenslang. Noch schlimmer sind die Folgen der Gendiagnostik. Gentests werden in wenigen Jahren billige Massenware sein. Sie werden immer mehr Krankheitsrisiken vorhersagen.


Magnus Heier zeigt in seinem Buch klar auf, dass mehr Aufklärung die Heilung auch behindern kann und wie leicht es, ist unser Wohlbefinden zu manipulieren. Gerade für die ärztliche Behandlung ist diese Wissen entscheidend – denn bislang ignorieren Ärzte und Forscher den Nocebo-Effekt weitgehend. Mit diesem Buch könnte sich das ändern.


Dr. Magnus Heier ist niedergelassener Neurologe und Medizinjournalist. Das Buch über den Nocebo-Effekt erschien im Hirzel-Verlag.

Magnus Heier - Nocebo: Wer’s glaubt wird krank
Wie man trotz Gentests, Beipackzetteln und Röntgenbildern gesund bleibt
133 Seiten, 21 Abbildungen, Kartoniert
Preis: € 17,90 [D]
ISBN 978-3-7776-2147-0
erschienen am 9. September 2011 im Hirzel-Verlag.


Quelle: rundschau-online.de

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